Wie funktioniert ein Gletscher?
Wie funktioniert ein Gletscher?
Gletscher bilden sich, wenn erhöhtes Gelände, ein Plateau oder Berggipfel, oberhalb der so genannten Gleichgewichtslinie liegt. Die Gleichgewichtslinie (gelb in der Abbildung) trennt die Akkumulationszone, in der die Schneemenge im Winter die Schmelze im Sommer übersteigt, von der Ablationszone, in der der gesamte Winterschnee im Sommer verschwindet. Aufgrund von thermodynamischen und druckbedingten Effekten verwandelt sich der Schnee in der Akkumulationszone in Eis. Wenn der Druck hoch ist, verhält sich Eis wie ein viskoses Material und beginnt nach unten zu fließen (schwarze Linien). Bei einem Gletscher, der sich im Gleichgewicht mit dem vorherrschenden Klima befindet, ist die in der Akkumulationszone hinzugewonnene Gesamtmasse gleich der in der Ablationszone verlorenen Masse. Der Eisfluss sorgt für den notwendigen Massentransfer gletscherabwärts.
Wenn sich das Klima erwärmt, steigt die Gleichgewichtslinie an, typischerweise um 100 m pro Grad K Temperaturanstieg (z. B. Oerlemans, 2010). Es wird mehr schmelzen und ein kleinerer Teil des Niederschlags wird als Schnee fallen. Die Ablationszone dehnt sich aus und die Akkumulationszone schrumpft. Der Nettomassenhaushalt wird somit negativ. Das Massengleichgewicht kann nur wiederhergestellt werden, wenn die Ablationszone durch den Rückzug der Gletscherzunge verkleinert wird. Bei einer Abkühlung des Klimas ist das Gegenteil der Fall und der Gletscher wird sich ausdehnen. Beachten Sie, dass bei einem Gletscher mit geringer Oberflächenneigung die Auswirkungen einer steigenden Gleichgewichtslinie größer sind – ein solcher Gletscher reagiert empfindlicher auf den Klimawandel.
Die meisten Gletscher sind derzeit nicht im Gleichgewicht mit dem vorherrschenden Klima, d. h. sie sind „zu groß“ für die heutigen Temperaturen. Am Ende des Sommers lässt sich die Größe der Akkumulationsfläche durch eine visuelle Inspektion feststellen. In den letzten Jahren hatten viele kleinere Gletscher in den Alpen aufgrund einer sehr hohen Gleichgewichtslinie keine Akkumulationszonen mehr. Je nach Grösse werden diese Gletscher innerhalb weniger Jahrzehnte verschwinden (z.B. Zekollari et al., 2019).
Abbildung: W. Haeberli
Quellenverzeichnis:
Oerlemans J (2010): The Microclimate of Valley Glaciers. Igitur, Utrecht University, 138 pp. ISBN 987-90-393-5303-5
Zekollari H, Huss M and Farinotti D (2019) Modelling the future evolution of glaciers in the European Alps under the EURO-CORDEX RCM ensemble, Cryosphere, 13, 1125–1146 (doi.org/10.5194/tc-13-1125-2019)